Bei "Kalinka" lösten sich
alle Hemmungen
25.01.06 Burscheid
Von Ursula Hellmann
Vor
300 Zuhörern trat Ivan Rebroff am Montagabend in der
Evangelischen Kirche auf.Burscheid. Im wahrsten Sinn des
Wortes leibhaftig und in voller Größe steht Ivan
Rebroff vor dem Altar. Mal in einer schwarzen, dann in einer
leuchtend roten, so genannten Rubaschka, einem drei Viertel
langen Überrock mit Goldstickerei und der typischen
Kopfbedeckung aus Zobelpelz. Der Leitung des Burscheider
Kulturvereins war es gelungen, in dem dichten Tourneekalender
des Gesangs-Genies eine Lücke zu erwischen. Am Montagabend
trat Rebroff in der Evangelischen Kirche auf. Das Trio Sabawa
spielt an der Kontrabass-Balalaika, der bauchigen Sopran-Balalaika
und am Knopf-Akkordeon. Die Musiker geben seinen Liedern
den stilvollen Background. Zwischendurch erzählt Ivan
Rebroff kleine Anekdoten. Mal besinnlich, mal heiter. Seine
Augen über den faltenlosen Wangen haben trotz des eisgrauen
Bartes noch nichts vom alten Feuer verloren. Die elegante
Gehhilfe ist nach seiner Bandscheibenoperation mehr als bloße
Dekoration.Welche Lieder Rebroff an seinem Konzertabend singt,
bestimmt er oft erst spontan während des zweistündigen
Vortrags. Einer ausführlichen Beschreibung seines musikalischen
Lebenslaufs können die Besucher alles entnehmen, was
sie über Hans-Rolf Rippert noch nicht wussten. In einem
Interview nach seiner ersten Singerfahrung gefragt, soll
er lächelnd gesagt haben: "Man erzählt sich,
dass mein erster Schrei nach dem Klaps der Hebamme bereits
Belcanto-Format gehabt hätte."Am 31. Juli 1931
in Berlin-Spandau geboren, singt Rebroff schon mit sechs
Jahren im Stadtsingechor von Halle an der Saale, einem der ältesten
Knabenchöre Deutschlands. Sein Gesangsstudium absolviert
er als Fulbright-Stipendiat an der staatlichen Hochschule
für Musik in Hamburg. Dort gewinnt er 1958 den ersten
Preis des bundesdeutschen Hochschulwettbewerbs. Weitere Auszeichnungen
und eine steile Karriere als Solist bei den Donkosaken unter
Serge Jaroff sowie den Schwarzmeerund den Uralkosaken lassen
nicht lange auf sich warten. Es folgt der Durchbruch zur
internationalen Karriere als "Milchmann Tevje" in
Paris, zahlreiche Hauptrollen in Opern, Operetten und Spielfilmen.
Das deutsche und internationale Fernsehen bietet ihm attraktive
Möglichkeiten. Aber nicht nur im Showgeschäft macht
sich Rebroff einen Namen. 1985 wird ihm das Bundesverdienstkreuz
verliehen.Im Jahr 1989 besucht er auf Einladung von Michael
Gorbatschow zum ersten Mal die Länder der ehemaligen
Sowjetunion. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er die Heimat des
jakutischen Kosaken, von dem Rippert seinen Künstlernamen
entlieh, nur in seinen Liedern gepriesen. Heute hat er seinen
Wohnsitz auf der griechischen Insel Skopelos, deren Ehrenbürger
er auch ist. Seine insgesamt 49 goldenen Schallplatten und
die 7200 Konzerte kann wohl kaum ein anderer Künstler
aufweisen. Auch seine Fans sind ihm während seiner Laufbahn
stets treu geblieben. So wie heute.In den Bänken der
Evangelischen Kirche sitzen nur drei oder vier junge Leute
unter zwanzig. Ob sie lediglich im Schlepptau der Eltern
gekommen sind? Daraufhin befragt, sagt das elfjährige
Mädchen: "Aber das ist doch meine Musik." Darya
und ihre ältere Schwester sind in Minsk geboren. Mit
den Eltern wohnen sie seit vier Jahren in Burscheid. Die
Mutter sieht es realistisch: "Volksmusik wird bei uns
in Weißrussland noch viel praktiziert, aber die alten
Lieder kennt unsere Jugend wohl nicht mehr."Zwei Damen
aus der vierten Reihe hören der raumfüllenden Stimme
bereits seit vielen Jahren zu, wenn auch bis zu diesem Abend
nur über Radio. Die Burscheiderin und ihre Bekannte
aus Radevormwald sehen Rebroff zum ersten Mal persönlich.
Sie sind erstaunt, wie souverän er es versteht mit seiner
großen Gabe umzugehen.Spätestens bei "Kalinka" lassen
auch die letzten der etwa 300 Zuhörer dem russischen
Teil ihrer musikalischen Seele freien Lauf. Rhythmisches
Klatschen und viel Beifall geben Rebroff Gelegenheit, sich
bei seinem Publikum für den gelungenen Abend zu bedanken.Mit
allen Anwesenden freuen sie sich bereits auf den nächsten
Auftrittstermin. Rebroff verspricht, dass das nächste
Datum seines Besuchs schon fest vereinbart sei ein Weihnachtskonzert
im Jahr 2026.Durch das herzliche Lachen über den gelungenen
Scherz legt er noch eine Zugabe nach: "Wenn ich einmal
reich wär`...". Milchmann Tevje aus Anatevka in
Reinkultur. Weitere Artikeln: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6
|